"Sie haben es nicht leicht. Von der Schulbank oder vom Arbeitsplatz weg holt sie "der Bund". Oft weit weg von ihrer gewohnten Umgebung zu Hause erwartet sie an ihrem Standort eine völlig andere Welt. Jeans, lange Haare, Schultasche oder Werkzeug werden mit Uniform, Bundeswehr-Schnitt und Waffen getauscht. Der erste Tag eines Rekruten bedeutet für die Betroffenen oft der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. In der Kaserne dagegen wird es für die schon länger dienenden Soldaten zur Routine. Denn da heißt es: Die Hüpper kommen an."
"Montag, 2. Juli 1979. In der Kurhessen-Kaserne in der Wilhelmshäuser Straße in Münden laufen die Vorbereitungen für diesen Tag schon seit langem an. Listen müssen angefertigt werden, der genaue Tagesablauf wird durchorganisiert. Denn es ist wieder soweit: Wie zu jedem Quartalsbeginn kommen neue Rekruten zur Ausbildung zu den Mündener Pionieren. Und wie viele andere Dinge haben auch die Neuen eine Extra-Bezeichnung im Bundeswehr-Jargon. "Hüpper" heißen sie. Heute kommen über 100.
Bis abends um 18 Uhr müssen sie in der Kaserne sein. Und sie lassen sich Zeit. Die meisten kommen am Nachmittag eingetrudelt. Die erfahrenen Soldaten an der Wache erkennen sie sofort. Unsicherer Blick, dicke Reisetasche, ein Bündel mit Papieren in der Hand, zögernde Fragen. Der Einberufungsbescheid muß vorgelegt werden, dann geht es ab, rechts um die Ecke, "ist alles ausgeschildert", zur vierten Kompanie. Ihrer neuen Heimat.
Es ist ein Altbau. Generationen von Rekruten wurden hier schon der "letzte Schliff" für die Bundeswehr beigebracht. Ein nüchternes, sachliches Gebäude. Parterre werden die Hüpper "bearbeitet". Doch bevor sie auch nur den den ersten Kontakt zu ihren späteren Kameraden haben, werden sie mit dem Alltag der Bundeswehr konfrontiert. Am Geschäftszimmer - dort müssen sie rein - steht ein Schild. "Zu beachten: Beim Betreten des Geschäftsziommers 1. Nicht anklopfen, Mütze ab in die linke Hand, Grundstellung, Grüßen, Meldung (Dienstgrad, Name, Wunsch), Rühren. Beim Verlassen des Geschäftszimmers: Grundstellung, Grüßen, Kehrtwendung, Geschäftszimmer verlassen, Mütze auf". Das trifft für die Rekruten jedoch nicht zu. Grüßen können sie noch nicht, Mütze erhalten sie erst später.
Dann geht es an die verschiedenen Tische, hinter denen Soldaten für eine zügige Abwicklung der Formalitäten sorgen. Es wird unter den "Hüppern" kaum ein Wort gesprochen. Kein Kommentar, ernste Gesichter, kaum ein Scherz - die Ungewißheit über das, was kommt, erdrückt die Atmosphäre. Respekt vor jedem Menschen in Oliv - egal ob Pionier oder Feldwebel, läßt das Stimmungsbarometer, das bei den wenigsten über dem Nullpunkt steht, noch mehr absinken.
Nur vereinzelt kommen Rekruten an - der große Schwung wird mit dem Sammeltransport der Bundesbahn erwartet. Es gibt Bescheinigungen für Freifahrten mit der Bahn, der Führerschein wird kontrolliert, Name, Alter, Beruf erfragt. Unterschriften müssen geleistet, Wehrpaß abgegeben werden. Zum Schluß, bevor der Rekrut seine Sube inspizieren kann, gibt es noch das Grundgesetz und einen Schreibblock. Grundgesetz zum Lesen, Block zum Schreiben eines Lebenslaufs.
15.45 Uhr: Auf dem Mündener Bahnhof kommt ein Zug mit mehr als 30 Rekruten aus dem Raum Südhessen an. Zwei erscheinen mit langen Haaren, der Friseur erhält in den nächsten Tagen Arbeit. Hier hat man während der Zugfahrt schon Kontakte geknüpft. Die Stimmung ist nicht gedrückt, man nimmt den Wehrdienst hin als Notwendigkeit. Auf dem Transport in Richtung Kaserne dann tut sich ein Witzbold hervor. Beim Anblick des Campingplatzes auf dem Tanzwerder meint er "Wir kommen zum Wehrdienst her und die zum Campen". Doch die aufkommende Heiterkeit ist bald zu Ende. Schlangestehen im Kasernenflur. Warten auf das, was kommt.
Mitllerweile gibt es eine Schadensmeldung. Hauptmann Ralf Moesges, Chef der Kompanie, ist bei der Rückfahrt vom Bahnhof - dort hat er "seine" neuen Soldaten in Empfang genommen - der Blinker von seinem Fahrzeug ausgefallen. Sonst ist immer ein Chauffeur dabei. "Wenn Charly einmal nicht fährt",... meint einer. Charly kann nicht fahren. Charly muß Rekruten empfangen.
An allen Tischen im Geschäftszimmer-Bereich wird gefragt. Am meisten Arbeit hat Obergefreiter Franz-Josef Schaffstein. Er füllt Computerbögen aus, redet sich den Mund fusselig. "Sie sind männlich? Haben sie Kinder? Immer dasselbe.
(Hinweis Webmaster: Ankommende "Hüpper", vorn, v. links: Pioniere Hupka, Thaufelder, Bomuth u. Kummetat)
Die "Nullwoche" beginnt - Doch abends gibt's Befehle, stehen alle stramm
Was auf die Rekruten in den ersten Tagen ihres Soldatenlebens zukommt, bezeichnet Kompaniechef Moesgens als "Nullwoche". Einführungen, Formalausbildung, Einkleidung. Richtig los geht es erst später. Bei der Kompanieführung ist man sich darüber im klaren, daß durch die extreme Situation der Rekruten - Trennung von der ungewohnten Umgebung zu Hause, die harte Grundausbildung - menschliche Probleme auftreten können, die bewältigt werden müssen. Anlaufstelle für persönliche Probleme ist der Disziplinar-Vorgesetzte, der Kompaniechef. Doch nicht nur er allein will für seine Soldaten sorgen. Mit einem weitgespannten Netz der Möglichkeiten zur Fürsorge will man den Soldaten entgegenkommen. Nebenziel: Das Vertrauen der Neuen zu erlangen. Moesges: "Vertrauen kann man nicht befehlen, Vertrauen muß man erwerben."
Zunächst werden die Möglichkeiten der Fürsorge jedoch noch nicht genutzt. Nach den Formalitäten geht es ab in Block J. Dort gibt es Tasse, Besteck, Trainingsanzug, Schlafanzug, Bettzeug. Mit Kennerblick ordnen die Soldaten den "Hüppern" ihre Kleidergrößen zu. "Wie groß sind Sie? 1,80 Meter? Größe 5."
Doch auch Soldaten können sich irren. Kurze Zeit später tauchen zwei Rekruten auf, die sich über zu kurze Trainingshosen beklagen. Sie erhalten neue. Der Kompaniechef ist dabei. "Mit Maßkleidung können wir hier leider nicht aufwarten", sagt er. "Das verlangen wir ja auch gar nicht", sagt einer der Jungs in zu kurzen Hosen. Schnell wird sich umgezogen und ab geht's wieder "auf die Stube".
Nach dem Abendessen zieht man im Geschäftszimmer erste Bilanz. Immer noch fehlen vier Mann. Ob sie noch kommen weiß man nicht. Man wartet halt.
Einzelne Zugführer nutzen die Pause zu ersten Anweisungen an die Soldaten. Fähnrich Christan Heitefuß tut das auch, stellt sich und seine Gruppenführer vor. Dann kommt in kurzen Sätzen einiges zu den Dingen des täglichen Ablaufs. So muß dreimal das Revier gereinigt , die Stube sauber gehalten , Spinde abgeschlossen werden - wegen der Langfinger, in den Duschen soll man Badelatschen tragen - wegen der Fußpilze -, in der Kantine möglichst das "Grundsortiment" verlangen - wegen der günstigen Preise. Dann tönt ein Pfiff durch's Haus, jemand ruft "Heraustreten". Die Rekruten - in blauen Trainingsanzügen und schwarzen Turnschuhen haben schnell kapiert. Im Laufschritt geht es raus auf denm Platz vor dem Haus. Die drei anderen Züge stehen auch schon angetreten. Die Stammannschaft der Kompanie ebenfalls. Kurze Vorstellung der Soldaten durch den Kompaniechef, erste Kommandos, die Rekruten sind beeindruckt, versuchen die Exerzierübungen möglichst genau mitzumachen. Es gibt ein Lob vom Kampaniechef "Sie stehen da, als ob sie schon jahrelang dabei sind." Sie sind es aber erst ein paar Stunden und an den Fenstern stehen Schaulustige, die sich hinter den Scheiben über die "Hüpper" lustig machen.
Um 20.07 Uhr kippt dann der erste um. Er wird abtransportiert, in einem Pkw des Sanitäters verladen. Dann kippt der zweite Rekrut um. Die Aufregung, die Reise, die Eindrücke - es ist zuviel.
Es wird langsam dunkel über Münden. Während einige Soldaten langsam zum Kasernenausgang schlendern, um draußen ein Bierchen zu trinken, ist der Dienst für die "Hüpper" noch nicht beendet. Die Gruppenführer haben das Kommando. Immer noch wird kaum geredet. Man macht alles mit, was befohlen wird, ohne viel zu fragen, es muß halt sein.
Manche der Führer haben vergessen, daß die Rekruten heute erst eingetroffen sind. Im Laufschritt wird eine Gruppe ins Haus gescheucht. In einer Reihe versteht sich. Als die jungen Leute vor einer Tafel ankommen, müssen sie stehenbleiben. Aber die Tafel ist links, die Jung's sehen geradeaus. Grund genug für einen Befehl "Links um!" Dieser Ton, solche Befehle, das Gehorchen - das wird in Zukunft zu ihrem Dienstalltag in Uniform gehören.
Informationen über Informationen prasseln hernieder, das darf man tun, anderes wiederum nicht, viele Dinge muß man tun. Das Schwarze Brett muß täglich inspiziert werden. Dienstpläne hängen aus. In einem Zimmer sitzt der ReFhr, Bundeswehr-Abkürzung für Rechnungsführer. Dort gibt's am zehnten jedes Monats den Sold. In einem anderen Zimmer sitzt der UvD, der Unteroffizier vom Dienst. Er verteilt Schlüssel zu allen Zimmern, Stuben. Nebenan sitzt der Kp-Chef, der Kompanie-Chef. Da darf man aber nicht rein. Anmeldung im Geschäftszimmer.
Unterm Dach ist ein Tischtennisraum. Daneben ein Luftgewehr-Stand. An allen Wänden hängen Schaukästen mit Informationen über Minenlegen und anderes mehr. An der Wand ist ein Soldat aufgemalt. Er schießt in Richtung Flur-Anfang.
Nach dem intensiven Rundgang durch die Kompanie neigt sich der erste Tag der Rekruten seinem Ende zu. Aber es ist kein ruhiges Ende. Vollgestopf mit Informationen, Eindrücken und vielen unausgesprochenen Gedanken heißt es, zum erstenmal das Revier und die Stube zu reinigen. Ein Pfiff ertönt, es ist 21.30 Uhr, das Revierreinigen beginnt.
Einige bleiben auf ihren Stuben sitzen. Die Stube, so meint einer, muß nicht gereinigt werden. "Ich sehe keinen Dreck." Er überlegt sich, ob er nicht doch noch verweigern und Zivildienst ableisten soll. Ein anderer hat sich das schon überlegt, ist jetzt trotzdem hier und meint, es wäre halt notwendig.
Letzte Instruktionen vor dem Schlafen: Der Bundeswehr-Schlafanzug ist zu tragen. Nackter Oberkörper wird nicht gern gesehen. Wegen der Hygiene. Wenn man schwitzt, kriegt vielleicht ein anderer Rekrut die Bazillen mit.
Es ist 22 Uhr. Der letzte Rundgang durch die Stuben beginnt. Stabsunteroffizier Alfred Redding nimmt die Meldungen der Gruppenführer entgegen, entdeckt Dreck auf dem Tisch, eine Zigarettenschachtel auf dem Schrank, einen dreckigen Kübel. Das darf nicht sein. Morgen schon muß alles ohne Gruppenführer gehen. Richtige Meldung, saubere Stube - die Rekruten haben einiges zu tun.
Als ich die Kaserne verlasse, denke ich an die Worte eines Rekruten. "Das schlimmste ist, nicht rauszukönnen." Ich habe es besser. Ich gehe einfach. (Horst Seidenfaden. Bilder: Rode)"
Der Artikel wurde von Thomas Kummetat, ehemals 4. und 5. Kompanie, zur Verfügung gestellt.
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